Mag. Dr. Hans-Jörg Hofer
„Ältere Männer“ und die Scheu, bei psychosozialen Belastungen und in Krisen professionelle Hilfe anzunehmen
Auf „aktuell nach eins“ berichtet der ORF am 10. März 2025, dass ältere Männer im Durchschnitt wenig Bereitschaft zeigen, sich bei psychosozialen Krisen in therapeutische Behandlung zu begeben. Das sei ein Tabu, so der ORF, weil gerade ältere Männer – und übrigens auch jüngere, wie erst im Bericht selbst angesprochen – Angst davor haben, als schwach oder als verrückt zu gelten.
Das Phänomen an sich ist nicht neu und in den Sozialwissenschaften wohl bekannt. Zusammenhängen dürfte es allerdings mit unterschiedlichen Faktoren, die dann im Fall des Falles in ihrem Zusammenwirken auch einmal eine selbstdestruktive und für die Betroffenen äußerst nachteilige Auswirkung tätigen können. Gerade bei psychischen Erkrankungen und Belastungen gilt nämlich einmal mehr: Je früher man etwas dagegen und für die eigene Gesundheit unternimmt, desto höher sind die Chancen auf eine vollständige Wiederherstellung und Genesung.
Dass sich gerade ältere Männer beim Thema Psychotherapie noch immer schwer tun, verwundert angesichts der vor einigen Jahrzehnten noch vorherrschenden Erziehung, die in manchen Kontexten immer noch existiert, eigentlich nicht. Noch in den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurden Burschen bereits sehr früh folgende an sich schädlichen Lehrsätze seitens unreflektierter Erwachsener mitgegeben:
- Ein Bursche/Mann/Junge weint nicht.
- Ein „echter Indianer“ kennt keinen Schmerz.
- Wenn dich jemand schlägt, musst du dich halt (selber) wehren.
Diese Dinge und die damals nach wie vor existierenden patriarchalisch geprägten Erwartungen an Männer, mögen nunmehr dazu beigetragen haben, dass der ORF 2025 wieder mit einer derartigen „Information“ aufwarten und Alarm schlagen muss. Übrigens: Es ist in letzter Zeit sehr oft und völlig zurecht von gendergerechter Medizin die Rede. In der Debatte selbst wird das von manchen allerdings als Idee von Feministinnen, die ich in vielerlei Hinsicht gut nachvollziehen kann und mit ihrem kritischen Input nach wie vor sehr schätze, dargestellt, was natürlich völliger Unsinn ist und an den wissenschaftlich erwiesenen Tatsachenwahrheiten weit vorbeigeht. Das hier beleuchtete Beispiel zeigt m. E. nämlich recht eindrücklich, dass auch Männer – und das betrifft nicht nur die älteren alleine!!! – von gendergerechter Medizin und vor allem auch von gendergerechten Zugängen zu medizinischer Versorgung durchaus profitieren können.
Für Peer-Arbeit und Peer Support würde sich hier natürlich auch ein eigenes und eng umgrenztes sowie sinnvolles Betätigungsfeld ergeben, wenn betroffene und krisenerprobte Männer mit positiven Psychotherapieerfahrungen andere Geschlechtsgenossen gerade dahingehend aktiv unterstützen und beraten würden, wenn es darum geht internalisierte Hindernisse und sozialisationsbedingte Barrieren in Form von Befürchtungen und Ängsten abzubauen. Psychotherapie hat immer auch ein großes Potential an Erfolg im Sinne einer zeitweisen oder dauerhaften Verbesserung von Lebensqualität, zu der auch die Fähigkeit zählt, gewissen Tätigkeiten in einem gesunden Rahmen wieder nachgehen zu können.
