Anmerkung zur Studie "Lohn statt Taschengeld"
Ob und inwiefern die Studie "Lohn statt Taschengeld" der WU Wien eine hohe Relevanz für Menschen mit psychischen Behinderungen hat, erschließt sich aus der Studie selbst nicht.
Es wird offensichtlich davon ausgegangen, dass es "den Menschen" mit Behinderung als solchen gebe, was natürlich nicht der Fall ist. Menschen mit Lernschwierigkeiten, die sich vor allem auf den sogenannten alten Kulturtechniken des Lesens, Schreibens, Verstehens und der Mathematik herausgefordert sehen, unterscheiden sich in ihren Behinderungen zum Teil erheblich von Menschen, die zeitweise, öfter oder selten an diversen psychiatrischen und/oder psychosomatischen Symptomen leiden oder litten. Zweitere konnten oder können zumindest über längere Zeiträume einer "normalen", durchschnittlichen Berufstätigkeit nachgehen, ohne dabei allzu große Leistungseinbußen hinnehmen zu müssen. Sie fallen oft nur deshalb aus dem ersten Arbeitsmarkt, weil sie ihre Leistung nicht immer konstant in gleichbleibender Qualität sowie in direktem Bezug zu ihrer Bildung und Ausbildung zu erbringen vermögen.1
Wieder ganz anders sieht es bei Menschen aus, die sich "nur" mit physischen Behinderungen auseinandersetzen müssen.
Auffallend an der vorliegenden Studie ist aber nicht nur die Tatsache, dass sie nicht auch nur ansatzweise zwischen den diversen Formen von Behinderungen differenziert, sondern dass sie zudem von einer Reihe von Annahmen ausgeht, die ihrerseits alleine schon aus Perspektive der Behindertenrechtskonvention als fragwürdig erscheinen:
Punkt 1: "Lohn statt Taschengeld" wird als "Forderung" der Betroffenen und nicht als selbstverständliches Menschenrecht dargestellt. Man könnte hier auf völlig falsche Annahmen und Ideen kommen, zumal es ja um ein inzwischen mehr als berechtigtes Anliegen handelt. Nicht die Betroffenen fordern etwas, sondern Politik und Gesellschaft erfüllen ihre Aufgaben nicht.
Punkt 2: Auf die Behindertenrechtskonvention wird nicht adäquat eingegangen, obwohl "Lohn statt Taschengeld" ja einen anderen höheren Zweck verfolgt und für sich kein Selbstzweck sein kann. Dass es gerade in diesem Kontext um die Erfüllung einer Selbstverpflichtung und eines Staatsvertrages geht, ist m. E. höchst relevant.
Punkt 3: Voraussetzung für die Berechnungen ist, dass alles oder möglichst viel so bleibt, wie es ist und nichts oder nicht viel geändert werden muss. Dies kommt zwischen den Zeilen mehr als deutlich zum Ausdruck.
Punkt 4: Es wird mit einer gewissen Selbstverständlichkeit davon ausgegangen, dass für "behinderte Menschen"2 - ohne Differenzierungen! - das Mindeste - hier eine Entlohnung, die sich am Ausgleichszulagenrichtsatz orientiert! - zugleich das Höchste ist, was dieser Gruppe generell zugestanden werden kann. Damit und vor allem so funktioniert aber Inklusion nicht, da es dabei immer auch um Menschenwürde und möglichst umfassende Teilhabe sowie Selbstbestimmung geht.
Punkt 5: Die Studie basiert darüber hinaus auf Zahlen, die bereits veraltet sind. Damit konnte die nunmehr eingetretene Inflation noch nicht abgebildet werden. Für die Betroffenen wäre aber eben dies (steigende Kosten für Wohnen, Nahrung, Heizung und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben etc.) von entscheidender Bedeutung.
Insgesamt ist die ganze Studie weder besonders gut noch schlecht, sondern vielmehr die Darlegung eines Modells, an dem sich die Politik zur Abschätzung der Kosten orientieren kann. Eine erste Abschätzung von Kosten ist nicht irrelevant, hat aber ihrerseits eine nicht zu unterschätzende Tendenz, Behinderungen und Menschen mit Behinderungen als "Kostenfaktor" darzustellen, was schon hinterfragt werden muss. Ein derartiges Denken kann, wie man aus der Vergangenheit weiß, zu gefährlichen politischen Entwicklungen führen.
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